Die Ausstellung Mass der Unordnung ist unsere erste Ausstellung für das Jahr 2021 - In ihr zu sehen sind einerseits Skulpturen sowie Zeichnungen von Adrian Uncrut und anderseits Malereien von Dieter Matzaliks.
Sie findet vom 25.01.21 bis 26.02.21 statt.
Unter den zurzeit gegebenen Umständen kann leider keine Vernissage stattfinden, als Ersatz ein Video mit den beiden Künstlern und der Galeristin Susanne Frewein-Kazakbaev, in welchem sie ihre künstlerischen Positionen darlegen:
Über Adrian Uncrut:
Adrian Uncrut stellt sich in dieser, im Jahr 2020 entstandenen, Werkgruppe Fragen zum Alltäglichen und zu dessen Einflussnahme auf das, was weitläufig als Realität bezeichnet werden will. Dabei fassen seine jüngsten Werke Realität zunächst als persönliche Konstruktion ins Auge, die neben und beeinflusst durch jene kollektive Realität existiert. Kulturelle Normen werden unter diesem Aspekt ebenso verhandelt, wie Sinn und Unsinn gesellschaftlicher Regeln und dem, was als allgemeiner Konsens gilt. Das Individuelle wird dann auf seine daraus resultierenden Erwartungen, Hoffnungen und Ängste hin hinterfragt. So geraten tagesaktuelle Themen wie: Pandemien, Umweltschutz, Psychohygiene, Wahrheit und Verleumdung in den Focus seines momentanen Schaffens. Aber auch die Auseinandersetzung mit der Vanitas, des Lebens und Sterbens in dieser Welt, die jetzt ist, reiht sich in den Fragenkatalog des Adrian Uncrut und wird auf ironische Weise durch die Materialtät der Werke transportiert. Die Idee bzw. die Fragestellung hat in seinen Arbeiten den Vorrang. Dieser wird ihr von der Ästhetik auch mit einem selbstbestimmten Handkuss überlassen, wenn Readymades, objets trouvés und banale Alltagsgegenstände das Recycling in der Kunst in ein neues, aktuelles Licht rücken.
Was wir sehen ist nicht nigelnagelneu. Was wir sehen ist, was wir vielleicht schon lange nicht mehr sehen können, allzu oft übersehen und vielleicht auch nicht oder nie sehen wollen. Aber wir sehen, was wir unbedingt sehen müssen!
verfasst von Ana-Maria Altmann
Über Dieter Matzaliks:
Es gibt ein Zitat Dieter Matzaliks zu seiner künstlerischen Herangehensweise, das, obzwar schon fast 15 Jahre alt, nichts an Aktualität eingebüßt hat:
„Ich spiele mit Formen … und ich spiele mit Farbe, das ist meistens ein Suchen nach der richtigen Farbe für die erspielten Formen. … Ich spiele quasi vom Blatt, vom Skizzenblatt, zuerst und vergesse das mit zunehmender Tiefe, in die mich das Entstehende zieht. Es entwickelt sich daraus ein gewisses Repertoire an Formen und Farben, das einige Zeit seine Gültigkeit hat; ich lerne das auswendig, aber es entsteht doch immer neu und, bei gleichem Thema, immer anders.“
Ein durchs Atelier schweifender Blick und man erkennt sofort, was mit diesem entwickelten „Repertoire an Formen und Farben“ gemeint ist. „Unspektakuläre“, einfache Gegenstände wie Tragetaschen, abgetragene Schuhe, Sitzmöbel oder Äpfel zum Einen und andererseits „unexotische“ Haus- und Nutztiere wie Hunde, Hühner und Kühe werden expressiv einem undefinierten, zumeist in Grautönen modulierten Farbraum eingeschrieben.
Und dann sind zwei formale Konstanten im Spiel, die ich als äußerste Pole im Formen- und Farbenrepertoire Matzaliks bezeichnen würde, zwischen denen alle anderen Gegenstandsumkreisungen stattfinden und die offensichtlich nie an Gültigkeit verlieren. Die Bedeutung dieses Gedankens wird für mich noch dadurch bestätigt, dass sich der Künstler selbst in dieser aktuellen Ausstellung auf genau diese beiden Ausformungen seiner spielerischen Suche beschränkt.
Den einen Pol bevölkern in der Mehrzahl großformatige, in pastosen, oft breiten Pinselhieben ausgeführte Gräser-, Gitter- oder Balkenbilder, in denen sich, wie es scheint, die Form zugunsten der Farbe aufgelöst hat. Diesen entgegengesetzt behaupten sich auf Kleinformaten stereometrisch-architektonische Formen in ihrer ganzen Schwere. Sie stehen monolithisch da, erinnern an dreidimensionale Buchstaben (der Künstler selbst spricht über eine dieser Werkreihen von seinem „Alphabet“) oder auch an streng-orthogonale Entwürfe für Gebäude.
Wir dürfen an dieser Stelle nicht außer Acht lassen, dass Dieter Matzalik nicht nur als Maler sondern mit ebenbürtiger Intensität auch als Architekt tätig ist. In diesen Bildern schafft er gleichsam eine Verbindung zwischen diesen Betätigungsfeldern, fast so, als würde er sich malerisch Formen für seine Architektur erspielen wollen. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: es handelt sich keineswegs um Skizzen oder gar Entwürfe für gebaute Architektur sondern um eine ganz und gar eigenständige, allein für sich stehende Malerei. Die Architektur ist, überspitzt formuliert, nur eine ins Dreidimensionale gesteigerte Möglichkeit auf seiner Formensuche, ein weiterer – wenn auch gewichtiger - Buchstabe im Alphabet.
Die Klammer, die alle diese Form- und Farbvarianten zusammenhält, ist die Malerei selbst. Mit Pinselstrichen unterschiedlicher Breite projiziert Matzalik entweder Gegenstände auf den zumeist getrübten, in gebrochenen oder entsättigten Farben gemalten Raum oder er verdichtet und verräumlicht damit seine an sich antiillusionistischen Gräser- und Gitterbilder. Der Aspekt des Beendens eines Malprozesses obliegt dabei dem Künstler, der damit auch der Selbstvergessenheit in diesem Prozess ein Ende setzt. Mit dieser Setzung bestimmt er, wann ein Bild „fertig“ ist, wann es sich um „gute“ Malerei handelt. Der richtige Zeitpunkt hängt für Matzalik auch immer davon ab, welches „Maß an Unordnung“ dem Bild beigefügt wird.
Eine persönliche Handschrift wird bei der Herstellung dieser – am Ende doch kontrolliert gesetzten - Unordnung nicht verschleiert oder gar vermieden sondern ganz im Gegenteil: ein expressiver Gestus durchzieht und verbindet alle Werke, ganz unabhängig vom dargestellten Objekt, auf das der Künstler in seiner spielerischen Suche gerade trifft.
Mit dieser expliziten Expressivität befindet sich Dieter Matzalik natürlich in einer Tradition, die man fast als Grundkonstante österreichischen Kunstwollens bezeichnen könnte. In der Malerei reicht sie vom Oskar Kokoschka der Nachkriegszeit bis zu den gegenständlichen Farbexplosionen der „Jungen Wilden“ in den 1980er und -90er Jahren etwa eines Siegfried Anzingers oder Herbert Brandls.
Was diese Künstler trotz aller Unterschiedlichkeit eint und auch mit Dieter Matzalik verbindet ist eine gewisse Dringlichkeit, die aus dem Primat der Malerei als expressiver Akt resultiert. Es geht um Malerei als Malerei, Theorie- und Konzeptfragen sind zugunsten des Tuns hinweggewischt. Im über und über mit Bildern, Skizzenbüchern, Farbtuben und Malwerkzeugen überhäuften Atelier Matzaliks überfällt einem das Gefühl, Malerei fungiert hier als Mittel UND Zweck, als MÜSSTEN quasi die Bilder gemalt werden, als MÜSSTEN einer Malerei, die sich nicht als „Sinn für Wirklichkeiten sondern als Sinn für Möglichkeiten“ (R. Musil) begreift, diesen in seiner Formensuche ständig neue hinzugefügt werden.
Gleichzeitig, so scheint es, führt Matzalik ein bändigendes Moment ein. Um sich nicht im Rausch der Möglichkeiten zu verlieren, beschränkt er sich auf nur wenige Gegenstände, die er seinem Findungsspiel unterzieht. In einem mit mir geführten Gespräch erwähnt der Künstler in humorvollem Zusammenhang – Matzalik imaginiert sich ein durchaus befriedigendes Dasein als Fälscher dieses Meisters – und nicht ohne Bewunderung einen großen Einzelgänger in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, den man durchaus als Großmeister der Formenreduktion bezeichnen kann: Giorgio Morandi.
Nach einer relativ kurzen Anfangszeit, in der sich Morandi mit dem Futurismus und der Pittura metafisica, der er auch zugerechnet wird, beschäftigte, entwickelt der Italiener ab den 1920-er Jahren ein Konzept von Stillleben, das sich auf ganz wenige Gegenstände wie Flaschen, Krüge und Becher konzentriert. Ähnlich wie Morandi experimentiert Matzalik mit der Darstellung von Raum und Fläche, indem beispielsweise den Dingen malerisch Schatten hinzugefügt werden. Und bei beiden finden sich zwar keine Menschendarstellungen, aber die ausgewählten (Alltags-) Gegenstände stehen nicht für sich sondern erlangen erst durch den Menschen ihre Bedeutung: im Fall Morandis durch deren Herstellung, im Fall Matzaliks – sieht man von den beiden weiter oben formulierten Formkonstanten ab - durch deren Verwendung. Doch ganz anders als bei Morandi lässt er die auf einer angedeuteten Tischplatte stehenden Dinge nicht gegenseitig in Beziehung treten sondern stellt sie immer vereinzelt in einem nicht näher definierten, unendlichen Farbraum dar.
Losgelöst und frei von Bezügen, jedes als erspielte Möglichkeit für sich.
verfasst von Alexander Pointer